Phasen des Reisens
Das mag für viele überraschend sein, aber ganz dogmatisch gesprochen, und man möchte es nahezu ein Axiom nennen: Beim Reisen geht es nicht allein um das „Wohin“. Die Destination ist sicherlich ein entscheidender Faktor für eine Reise, aber es nicht der einzige Parameter. Das „Wie“ ist genau so wichtig, und das „Warum“ auch. Und das „Wie lange“ unterscheidet eine Reise von einer Fahrt ins Wochenende. Oder einem Pauschalurlaub an der Costa Brava. Es geht auch nicht um die Entfernung der Reise: Man kann an das Ende der Welt fahren ohne Erkenntnisgewinn oder Entdeckung, aber wirkliche Exotik findet sich auch im nächsten Kiez, oder der Nachbarstadt. Nimm die S-Bahn und fahre eine dir unbekannte Linie mal komplett durch – das ist schon eine Reise mit Exotikflair und Entdeckungen!
Ideenphase
Bei den meisten wird das „Wohin“ noch vor der eigentlichen Planung einer Reise stehen – als Idee, als Traum, als Wunsch, als ein simples „da wollte ich schon immer mal hin“. Ohne eine Idee als Beginn einer Reise kann ich mir individuelles Reisen gar nicht mehr vorstellen – Fantasie und ein kreativer Prozess gehören für mich zum Reisen wie Sauerstoff zum Leben. Verbringe ich aber meine Ferien so wie immer oder liege ich zwei Wochen in der All-inclusive Burg am Strand, werde ich diese Phase des Reise-Prozesses nicht durchlaufen. Weder in der Ideenphase, noch überhaupt, denn dann reise ich nicht, sondern verbringe meinen Zeit lediglich ausserhalb meines Heimatortes. Ich bin also nicht bewegt und aktiv, sondern konsumiere stumpf, und das höchst passiv.
Bei mir ist die initiative Idee für eine Reise oft ortsungebunden oder unabhängig von einer konkreten Destination, oft rein landschaftsgesteuert, das geht dann ungefähr so: Ich möchte wo hinfahren, wo die Berge ans Meer reichen (Norwegen? Neuseeland? Feuerland?) Oder: Ich möchte in die Trockensavanne und Elefanten und Löwen sehen (Tansania? Botswana?) Oder: Ich möchte in ein Land, dessen Sprache ich ganz und gar nicht verstehe und auch nicht lesen kann. (Griechenland? Japan? Indien?). Oder: ich habe nur eine Woche Zeit und möchte ans Meer, ohne mehr als fünf Stunden zu fliegen und ohne Ballermanntourismus (Irland? Madeira? Sardinien?). Oder: Ich möchte in den Dschungel. (Brasilien? Peru? – Bienvenido im Südamerika Reiseblog). Ideen für individuelles Reisen, das ist das Entdecken, das Neugierig sein, von bekannten Mustern abweichen und seine mentalen und physischen Alltagspfade hinter sich lassen. Aufbruch in etwas Neues, ungewohntes, zu Fuß, mit der Straßenbahn, oder dem Flugzeug. Das Mittel ist egal, das Ziel fast auch, es zählt die geistige Einstellung und Erwartungshaltung.
Die Planungsphase
Die Art wie ich reise, steht fest, da bin ich genau so wenig kreativ wie ein Mallorca Pauschalurlauber: Nach der Zielfestlegung der Reise buche ich einen Flug, denke mir eine Reiseroute aus, mehr oder weniger detailliert, und buche immer die Unterkunft am Ankunftsort vorweg, für eine oder zwei Nächte. Der Rest der Reise ergibt sich spontan. Ist also dann doch anders als beim Pauschalurlaub. Die Reiseplanung entsteht also aus einer vagen Idee, dann folgt die Flugbuchung. Stehen die Flugdaten, kommt die Reservierung des ersten Hotels am Ankunftsort. Vor Erfindung des Internets musste man für diesen Zweck in ein Reisebüro. Oder am Ankunftsort suchen. Was nach stundenlangem Flug und Jetlag und in einem fremdem Land immer eine sehr große Herausforderung war. Vor Erfindung des Internets und bevor es Lonely Planet Reiseführer und Reiseblogger gab war es auch sehr schwierig herauszufinden, wie man z. B. am Ankunftsort am besten in die Stadt kommt, was ein Taxi vom Flughafen kostet, wo man Geld tauschen kann und ähnliche grundlegende Hausaufgaben des individuellen Reisens. Aber das war ja das spannende, und ich vermisse es heutzutage ein wenig. Und klar: In einer organisierten Gruppenreise stellen sich diese Fragen alle nicht: Hier werde ich schon vor dem Abflug betreut, bekomme meine Bordkarte in die Hand gedrückt, und am Ankunftsflughafen wartet der Bus für alle.
Bei der Flugbuchung spielen mehrere Faktoren eine Rolle: Die Fluggesellschaft, Kosten, Direktflug oder Umsteigen bzw. die Fluglänge inklusive aller Zwischenstopps, Umsteigeflughäfen bzw. Umsteigeländer, Flugzeugtyp, Abflug- und Ankunftszeit. Mit einer Blacklist für Ausschlusskriterien kann man sich oft dem annähern, was man buchen wird. Hat man eine Frau, die mit auf die Reise möchte, können diese Ausschlusskriterien oft einen etwas willkürlichen Touch erhalten wie „Mit A 380 fliege ich nicht“ Oder: „Ich möchte in Johannesburg nicht aussteigen“. Kombiniert mit den eigenen Ausschlusskriterien, die im Prinzip genauso fragwürdig sein können (Ich möchte z. B. nicht in den USA umsteigen, und fliege nicht über Paris CDG.) ergeben sich dann Optionen für die Flugbuchung. Mittlerweile tendiere ich dahin, der Flugdauer und dem Umsteigeflughafen große Bedeutung beizumessen, seltsamerweise muss ich für meine Fernreisen nämlich meistens umsteigen. Und dann kann es auch vorkommen, dass ich Langstrecke mit einer wie ich finde nichtakzeptablen Fluggesellschaft (Kabinenprodukt! Service!, Flugzeugtyp!) wie z. B. Condor fliege – weil die als einzige Nonstop von FRA nach Tansania fliegen.
Zuweilen können politische Faktoren die Flugplanung beeinflussen. Beispiel: Ich steige nicht in den USA um, weil mir die dortige Durchführung der Sicherheitskontrollen sowie der praktizierte Datenschutz (Flugdatenabkommen mit der EU, Prisma) nicht gefallen. Kommen wir zum „Wie“, der Reiseroute. Die Reiseroute ist immer ein Kompromiss, der sich aus den Faktoren Zeit, Erreichbarkeit, Verkehrsmittel, kulturelle und natürliche Bedeutung eines Ortes, zuweilen auch der Kosten, ergibt. Fahre ich nach Norwegen, weil ich einen Fjord sehen möchte, suche ich mir natürlich eine Route aus, die einen Fjord beinhaltet. Ich möchte aussergewöhnliche Orte bereisen, und dafür sind die Auszeichnungen der UNESCO als Welterbestätten immer ein sehr guter Indikator. Bleiben wir beim Beispiel Norwegen: Hier ist die Stabkirche in Urnes ein sehr einzigartiges Baudokument und sollte definitiv auf jeder Bucketlist bzw. Reiseroute stehen. Das Hinkommen nach Urnes ist aber nicht ganz trivial, weil dieser Ort recht abgelegen liegt. Die Planung der Reiseroute ergibt sich also aus der Beachtung und Gewichtung dieser Faktoren, angereichert mit zusätzlichen Faktoren wie z. B. Barrierefreiheit, Zugänglichkeit mit Kindern, bekomme ich dort vegetarisches/veganes Essen und Lebensmittel u.v.m.
Wie so oft im Leben gilt auch beim Reisen: Weniger ist mehr. Heißt konkret: Lieber auf die alles umfassende, hektisch getaktete und deswegen oberflächliche Route verzichten aber dafür eine kleineren Teil eines Landes oder ein Stadt besser und intensiver kennenlernen. Beim Reisen geht es nicht um das konsumierende Abhaken von Zielen und Sehenswürdigkeiten im Sinne von „Mein Auto, mein Haus, mein Boot“. Reisen heißt erleben. Wenn ich die Magie eines Ortes erleben möchte, kann ich sie nicht erfahren. Ich muss bleiben. Individuelles Reisen heißt verzichten auf Konsum. Und vielleicht einfach nichts tun als sitzen und beobachten. Und schon gar nicht irgendwelche Museen abklappern: Der Narr auf Reisen besucht Museen, der weise Mensch geht in die Kneipen. Hat so ähnlich Erich Kästner gesagt.
Die Umsetzungsphase
Ist die Planung abgeschlossen geht es an die Umsetzung. Die Planung für individuelles Reisen sollte sorgfältig sein, aber ich fahre letztlich nicht auf eine Expedition zum Blauen Nil. Also: ich tendiere hier nicht zu einem Overkill an Recherche, schließlich möchte ich vor Ort herausfinden, wie der Hase läuft in meinem Zielland, und nicht alles vorab in Büchern und dem Netz, also gefiltert und aus dritter Hand, vorgelegt bekommen. Individuell reisen heißt, seine eigenen Erfahrungen und Entdeckungen zu machen, und zwar ungefiltert und vor Ort. Umsetzung der Reiseplanung heißt heutzutage: Ich buche im Netz. Also bei den Leistungsträgern wie Hotels, Pensionen, Lodges, Fluggesellschaften, Autovermietern direkt oder über Buchungsmaschinen. Oder, um mir das Leben zu erleichtern, gehe ich in das Reisebüro meines Vertrauens und lasse dort buchen. Ich ziehe das selbständige Reservieren und Umsetzen meiner eigenen Planung vor – dadurch erlebe ich auch sofort, wie organisiert und engagiert eine Unterkunft z. B. ist.
Ist die Umsetzungsphase der Reise abgeschlossen, gibt es eigentlich kaum noch etwas zu tun als warten und vorbereiten. Und ggf. den Plan zu ändern, denn Unvorhergesehenes kann in meinem Zielgebiet immer passieren: Naturkatastrophen, Streiks, Insolvenzen, Unruhen, Putsche, was auch immer. Deshalb macht es Sinn, in meinen Planungen und Reservierungen flexibel zu sein und einen Plan B zu haben. Die Wartephase bzw. Vorbereitungsphase ist bei mir teilweise sehr unterschiedlich lang, das ist abhängig von der Art der Reise, die folgt. Aber die Wartephase vor einer Reise ist qualitativ immer hochwertig, denn man kann sie mit dem Vorbereiten anfüllen: Kameraausrüstung checken oder ggf. optimieren, die Ausrüstung schon mal sammeln, säubern, ausprobieren, probepacken als Test und vieles mehr. Spezielle Kleidung oder Schuhe beschaffen, oder spezielle Fertigkeiten erlernen wie navigieren mit einem GPS oder im Sand fahren mit einem 4×4. Der Abschlusstag der Warte- bzw. Vorbereitungsphase ist der Abreisetag! Jetzt gilt das oben geschriebene! Praxis über Theorie! Reisen über Alltag. Das Sein bestimmt das Leben. Das Leben unterwegs als das wahre Leben. Reisen als Form eines höheren irdischen Seins.
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